Rechtschreiben

Rechtschreiben – gar nicht so schlimm

Früh übt sich – kein blöder Spruch, sondern didaktische Realität

Immer wieder einmal wird das leidige Thema der schlechten Rechtschreibleistungen in der Presse thematisiert, zuletzt im Zusammenhang mit dem neuerlichen Pisaschock. Öfter wird dann auch auf den didaktischen Ansatz „Lesen durch Schreiben“ von Jürgen Reichen hingewiesen, der sozusagen als Sündenbock herhalten muss, weil nach dieser Methode die Kinder zunächst Wörter und Sätze so verschriften, wie sie sie hören.

Diesem Vorurteil möchte ich entschieden widersprechen, nicht, weil ich nach der Reichen-Methode unterrichtet hätte und ein Fan derselben wäre – ganz und gar nicht!
Ich vertrete didaktisch einen völlig anderen Ansatz des Lesenlernens, aber ich finde, dass hier wieder einmal Verantwortung abgeschoben wird.
Nicht jede Lehrkraft, die exzessiv und viel zu lange die Kinder einfach so schreiben ließ, wie sie es hörten, hat nach der Reichen-Methode unterrichtet, das waren die wenigsten. Nur der Ansatz des Laissez-faire-Schreibens war ein sehr bequemer, und da er noch dazu „irgendwie“ in Mode war, sprangen viele Lehrer relativ unreflektiert auf diesen Zug auf.

Sinnvolles Schreiben nach Gehör

Kinder, die in der Lage sind, aus gesprochener Sprache die einzelnen Laute herauszuhören, sind beim Lesenlernen im Vorteil. Diese phonologische Bewusstheit kann trainiert werden, zum Beispiel durch das schöne und deutliche Rezitieren von Reimen und Gedichten und auch durch das genaue Hinhören auf den Klang eines Wortes, durch mehrmaliges Vorsprechen und durch das Verschriften der Laute, die analysiert werden können.
Es lohnt sich, ungefähr ab der achten Schulwoche damit zu beginnen und den Kindern auch jeweils ein Wort für zu Hause aufzugeben. Wie du da konkret vorgehen kannst, habe ich genau in meinem Buch Lesen lernen mit links beschrieben.
Dieses Schreiben nach Gehör ist ein Zwischenziel, das in den ersten Schulmonaten gute Dienste leistet, dann aber abgelöst werden muss durch erste Schritte auf dem Feld des Rechtschreibens.

Wenn dann in der 3. Klasse irgendwann doch einmal mit dem richtigen Schreiben begonnen wird, platzt die Bombe: Die meisten Kinder tun sich unglaublich schwer damit, aus der Wildnis des Schreibens in die Kulturlandschaft des Schreibens zu wechseln.

Erste Rechtschreibschritte ab Januar in der ersten Klasse

Beim Schreiben gibt es Regeln

Kinder müssen erst einmal zum Schreiben gebracht werden. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass sie ungeniert und ohne Hemmung zum Stift greifen, um eigene Erlebnisse, Meinungen oder Wünsche schriftlich zu fixieren. Im Idealfall sollten sie Freude daran haben, sich mitteilen zu können. Aber diese Freude muss geweckt werden, das heißt: Wir müssen in der Schule Schreibanlässe bieten, die zum Schreiben motivieren.
Und dann müssen wir auch, zwar behutsam, aber dennoch konsequent, das Vorhandensein von Regeln in das Bewusstsein der Kinder bringen.

Die meisten Erwachsenen werden sich beim Thema „Schulaufsätze“ wahrscheinlich daran erinnern, dass sie ohne Freude schrieben und sich erheblich frustriert fühlten durch das unsensible Korrekturverhalten der Lehrer, die in den sprachlichen Produkten der Kinder nicht nur das verbesserten, was grammatikalisch falsch war, sondern auch die individuelle Sprache und so manche originelle Ausdrücke ersetzten durch das, was sie in ihrem Erwachsenen- und Lehrerdeutsch passender fanden.
Es wird wenige Kinder geben, denen solche übergriffigen Korrekturen völlig gleichgültig sind.

Finger weg vom sprachlichen Ausdruck

Der erste Schritt zur Freude am Schreiben ist, dass wir die Kinder als Autoren respektieren und alles, was grammatikalisch vertretbar ist, auch stehen lassen. Nur so kann in unseren Schülern das Erlebnis der Selbstwirksamkeit entstehen: Ich kann mich schriftlich äußern – ein großer Autonomiegewinn, wenn wir es richtig angehen.

Das Bewusstsein für richtiges Schreiben wecken

Andererseits dürfen wir die Kinder nicht in dem Glauben lassen, es sei egal, wie sie die Wörter aufschreiben. Wir müssen also sehr wohl korrigieren, aber nicht dort, wo es weh tut, bei der sprachlichen Schöpfung, sondern nur dort, wo nicht die Ausdrucksweise des Kindes in Frage gestellt wird, sondern nur das technische Know-how des Schreibens.

Die rechtschriftlich korrigierte Version steht eigens auf dem Bild. Der Originaltext des Kindes bleibt unangetastet. Es wird also nicht in der Sprachschöpfung des Kindes herumgestrichen.
So machen Kinder die erste Bekanntschaft mit den Anforderungen des richtigen Aufschreibens.

Was ist eigentlich ein Satz?

Die Klarheit hierüber ist ein wichtiger Schritt beim richtigen Aufschreiben von Geschichten. Die Frage danach ist für uns Erwachsene vielleicht trivial, aber ganz und gar nicht für die Kinder. Es ist allerdings nicht damit getan, den Kindern zu erklären, wann ein Sprachgebilde ein Satz ist und wann nicht. Vielmehr müssen sie das durch vielfaches Tun erfahren, aber bitte nicht eine ganze Schulstunde lang, sondern nur in kurzen, dafür aber sehr häufig eingesetzten kleinen Trainingsmodulen.
So kannst du konkret vorgehen:
Schreibe an die Tafel (für die ganze Klasse) oder auf Papier (beim Einzel- oder Gruppentraining) einen Bandwurmtext aus mehreren Sätzen.

Wichtig: Es müssen zunächst ganz einfache Erzählsätze sein. In jedem Satz wird eine Sache erzählt, im nächsten Satz eine andere.

Meiner Erfahrung nach ist der Terminus „Satz“ für Kinder nicht auf Anhieb einleuchtend. Einen Punkt, ein Ruf- oder Fragezeichen kann man am Aussehen erkennen. Aber woher kommt der Begriff „Satz“? Da sind wir gefordert, die Bedeutung dieses sprachlichen Konstrukts erst einmal sehr niedrigschwellig zu vermitteln.
Weder eine etymologische Herkunftsangabe noch eine grammatikalisch exakte Definition können wir hier gebrauchen.
Ich sage einfach: In einem Satz wird was erzählt. Das kann ich noch präzisieren mit: Immer nur eine Sache.
Dieses Anfangsmodell kann dann langsam ausgeweitet werden durch das Verbinden von zwei Sätzen mit „und“ sowie durch das Einführen kurzer Ausrufe und Fragen.
Aber zunächst einmal muss ein Gespür dafür entstehen, wann ein Satz aufhört und der nächste beginnt.

Erste systematische Übungen

Richtiges Schreiben muss gelernt und geübt werden. Daran führt kein Weg vorbei. Wenn diese einfache und unumstößliche Wahrheit den Kindern bereits in der ersten Klasse vermittelt wird, dann ist das einfach so und diese Tatsache wird auch allgemein akzeptiert. Darüberhinaus erspart die rechtzeitige Heranführung an die Realität den Kindern den Schock, der unvermeidbar ist, wenn sie – oft erst in der dritten Klasse! – aus dem Paradies des „wilden Schreibens“ vertrieben werden, in dem sie sich schon gemütlich eingerichtet hatten.

Einfache Klassifizierung: Ohren-, Augen- und Glühbirnenwörter

Der Weg zum richtigen Schreiben führt einerseits über konsequentes Üben, aber das allein ist nicht ausreichend. Vielmehr muss auch allmählich Rechtschreibwissen aufgebaut werden. Das allerdings kann nicht durch einzelne Schulstunden einfach so erklärt und dann im Lehrplan abgehakt werden. Eine Rechtschreibstunde über Mitlautverdopplung führt noch lange nicht zum Beherrschen der Regeln in der Praxis.
Aber davon sind wir in der ersten Klasse ohnehin noch weit entfernt. Neben den gemeinsamen Übungen zum ordentlichen Gliedern von Bandwurmsätzen können wir einzelne Wörter betrachten und uns überlegen:

  • Höre ich beim deutlichen Sprechen jeden Buchstaben? In die Lehrersprache übersetzt heißt das: Existiert in diesem Wort eine Eins-zu-Eins-Phonem-Graphem-Zuordnung? Wenn ja, dann handelt es sich um ein Ohrenwort.
  • Höre ich die einzelnen Buchstaben nicht deutlich, dann muss ich das Wort genau ansehen und mir die Schreibweise gut einprägen. Es handelt sich um ein Augenwort.

Glühbirnenwörter werden zunächst nur am Rande erwähnt, das sind alle diejenigen Wörter, für deren richtige Schreibung wir auch noch Rechtschreibwissen brauchen, z.B. die Konjugationen der Verben . Allerdings ist auch bei unseren ersten Übungswörtern ein bisschen Glühbirne dabei, z.B. bei der Großschreibung von Nomina oder von Wörtern am Satzanfang.
Das kannst du ja beim gemeinsamen Betrachten von Wörtern erwähnen.

Konkrete Übung mit der ganzen Klasse: Ordnen von Wortkarten an der Tafel

Arbeit mit den Regenbogenlisten

Bevor ich dir genau beschreibe, wie diese Arbeit von mir eingesetzt wird, muss ich etwas klarstellen, was immer wieder falsch verstanden wurde: Es geht bei diesen ersten Rechtschreibübungen gar nicht darum, dass die Kinder sich einen gesicherten Rechtschreibschatz aufbauen.
Daran arbeite ich später. Hier geht es erst einmal darum, die selbstbestimmte und konsequente Übung als selbstverständlichen Bestandteil in das Lernrepertoire zu implementieren und eine erste bewusste Auseinandersetzung mit den Regeln des Schreibens anzubahnen.

  • Geübt werden Wörter, die ich selbst zusammenstelle. Die müssen nicht aus dem Grundwortschatz stammen, wichtig ist mir, dass sie die Kinder im rechten Maß fordern.
  • Auf einmal geübt und im Diktat abgefragt werden nur kleine Päckchen von jeweils fünf Wörtern.
  • Jedes Kind bestimmt selbst, mit welchen Übungen es arbeitet und wann es sich zum Diktat meldet.
  • Auf einer Übungsliste sind jeweils vier Wortpäckchen zu je fünf Wörtern.
  • Die Listen sind nach den Regenbogenfarben benannt: Rote, orange, gelbe, grüne, blaue, lila Liste.
  • Ich führe genau Buch über die Diktaterfolge: Für jeden Anlauf gibt es auf der Namensliste einen Punkt, für das erfolgreiche Schreiben eines Fünferpäckchens gibt es ein Kreuz.
  • Das erfolgreich diktierte Wörterpäckchen wird in der Farbe der Liste ausgemalt oder schraffiert.
  • Ist in einem Fünferpäckchen auch nur ein Fehler, muss an einem der folgenden Tage (nicht am gleichen Tag) das ganze Fünferpäckchen nochmal diktiert werden. Das Kind meldet sich wieder, wenn es glaubt, so weit zu sein.
  • Wer mit einer Liste fertig ist, bekommt auf diese einen Aufkleber und darf an der nächsten Liste weiterarbeiten.
  • Durch die Buchführung sehe ich genau, welche Kinder viele Anläufe brauchen und welche schnell durch die verschiedenen Fünferpäckchen kommen.
  • Die Buchführung zeigt mir auch, welche Kinder sich oft zum Diktat melden und welche eher rechtschreibfaul sind. Die werden dann von mir schon daran erinnert weiterzumachen.
  • Die einzelnen Fünferpäckchen sind nummeriert, sodass es auf der roten Liste die Päckchen „Rot eins, Rot zwei, Rot drei und Rot vier“ gibt.
LisaXXXXXXXXXXXX
MarkXXXXXX
TomXXXXX
AnnaX
Du siehst auf der Liste deutlich, welche Kinder wie fleißig sind und welche Kinder Hilfe brauchen

Hier kannst du dir ein Muster für eine Regenbogenliste herunterladen.