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Disziplin – unverzichtbares und ungeliebtes Stiefkind

Also lautet ein Beschluss,
dass der Mensch was lernen muss.


So weit Wilhelm Busch, aber darüber sind wir uns ja alle einig: Damit Kinder sich später in der Welt gut zurechtfinden und ihren Platz im Leben erobern können, müssen sie vorher was lernen.

Wir sind uns auch darüber einig, dass Zwang, Drill und Angst schlechte Lehrmeister sind. Trotzdem ist zu beobachten, dass in unserer sogenannten „Leistungsgesellschaft“ viele Kinder genau mit diesen altmodischen Methoden auf Leistung getrimmt werden sollen:
Nachhilfe schon für Grundschüler, Selbstzweifel bei den Kindern, Angst vor schlechten Noten und der damit oft einhergehenden Ablehnung durch die Eltern sowie Liebesentzug. Dieses Elend wird in zahlreichen Veröffentlichungen geschildert.

Die Schule kann nicht Reparaturinstitut für gesellschaftliche Mängel sein, aber wir können mit unseren Mitteln das Beste aus der Lernnsituation in der Schule machen.

Und damit schulisches Lernen erfolgreich sein kann, muss in der Klasse ein Disziplinlevel geschaffen werden, der das ermöglicht. Wobei es entschieden zu kurz gesprungen ist, nur ganz fixiert auf das Thema Disziplin zu starren. Denn ein bekömmliches Lernklima für alle in der Klasse befindlichen Menschen – also Schüler UND Lehrer – wird nicht geschaffen, wenn kurzfristig durch „Tipps und Tricks“ Störverhalten ausgeschaltet wird.

Ich habe oft erlebt, dass Lehrer in meinen Fortbildungen zum Thema Disziplin sich in erster Linie solche Tipps und Tricks erhofft hatten und Informationen dieser Art als den hauptsächlichen Zugewinn betrachtet hätten. Doch da wurden sie gründlich enttäuscht.

In unserem Beruf gibt es keine Tricks, da gibt es nur gründliche, sorgfältige und pädagogisch fundierte Arbeit und die ist – ob es dir nun gefällt oder nicht – mühsam und erfordert von uns die Bereitschaft, täglich aufs Neue mit Einsatz zu arbeiten.

Aber mal ehrlich – in welchem Beruf ist das denn nicht so, wenn du deine Sache gut machen und dir dein Geld wirklich verdienen willst?
Jacob Kounin hat es schon in den 70er-Jahren herausgefunden: Nicht das, was du tust, wenn die Unterrichtsstörung schon da ist, entscheidet über deinen Erfolg, sondern das, was du tust, BEVOR es überhaupt zu einer Störung kommt. Und da sind wir wieder beim gleichen Thema wie beim Lesen, Schreiben oder Rechnen: Prävention heißt das Zauberwort.

Also: Nicht Störungen, die bereits da sind, abzustellen und zu bekämpfen ist das eigentliche Ziel, sondern das Auftreten von Störungen zu verhindern.

Deshalb musst du viel weiter unten ansetzen, wenn es dir gelingen soll, stabile Strukturen und ein dauerhaft störungsfreies Lernen und Arbeiten im Rahmen des Unterrichts zu ermöglichen.

Du siehst in der Pyramide, dass die Re-Aktion ganz am Ende steht, wenn eben doch einmal Störungen vorkommen. Der Hauptteil deiner Disziplin-Arbeit liegt jedoch woanders.

Der Reihe nach:

Der Ordnungsrahmen

Funktionierender Unterricht braucht einen klaren Ordnungsrahmen. Damit der auch wirklich eingehalten werden kann, muss er mit den Schülern besprochen und abgestimmt werden und der Sinn des Ganzen muss transparent sein. Du musst dann die Konsequenz aufbringen, diesen Ordnungsrahmen auch einzufordern und dazu musst du selbst diszipliniert sein.

Emotionale Beziehung

Die Schulklasse soll ein sozialer Schutzraum sein. Jedes Kind hat das Recht darauf, ungestört und angstfrei zu lernen.

Du kannst sehr viel dazu beitragen, dass das funktioniert. Wenn du Kinder und ihre Befindlichkeit ernst nimmst, wenn du hinsiehst statt wegzusehen und wenn du auch keine Scheu vor Konflikten hast, dann verfügst du schon über eine wirksame Palette an Möglichkeiten. Darüber hinaus halte ich die wöchentliche Sozialstunde im Zusammenhang mit der Wandzeitung nach Celestin Freinet für – fast – ein Zaubermittel, um positiv auf das soziale Klima in der Klasse einzuwirken.
Auch gemeinsame Projekte und ganz besonders das Theaterspiel haben eine große Macht, die Gruppenkohäsion zu fördern. Darüber und auch über die Wandzeitung werde ich in eigenen Beiträgen schreiben.

Unterricht

Und natürlich spielt der Unterricht eine wichtige Rolle – ein Unterricht, in dem jedes Kind eine Lernchance hat. Dabei soll Lernchance nicht bedeuten, dass es nur Bestnoten geben darf. Lernchance heißt einfach eine Chance, etwas dazuzulernen. Wer zum Zeitpunkt Y etwas kann, was er zum Zeitpunkt X noch nicht konnte, hat einen Lernerfolg erzielt. So einfach ist das und so muss es auch den Kindern vermittelt werden. Du als Lehrkraft bist ein wichtiges Vorbild und ein wirkmächtiger Opinion Leader. und wenn du Lernerfolg auf diese Weise definierst, kommt das auch bei den Kindern an.

Wenn in deinem Unterricht Nischen geschaffen werden, in denen jeder auf seinem Niveau arbeiten kann, dann ermöglichst du auch jedem Schüler Lernfortschritte. Ein Königsweg hierzu ist eine gut strukturierte, „sanft“ geleitete und überwachte tägliche Freiarbeitsphase.

Rhythmisierung

Ein Schultag muss rhythmisiert sein – durch unterschiedliche Arbeitsformen, aber auch durch den Wechsel von Ruhe und Bewegung. Seit geraumer Zeit wird das Wort von der „bewegten Grundschule“ gebraucht.
Die schulische Wirklichkeit sieht hier oft sehr erbärmlich aus:

  • Ein Kind steht vor der Klasse, macht irgendwelche Bewegungen vor, alle machen diese nach oder besser: sollten diese „eigentlich“ nachmachen.
  • Eine „Bewegungs-CD“ läuft, die Kinder machen mehr schlecht als recht die angesagten Bewegungen mit, einige Kinder hampeln nur herum.
  • Die Kinder bewegen sich mehr oder weniger, während die Lehrerin am Pult noch etwas anderes erledigt.

Diese Negativbeispiele habe ich nicht erfunden, sie wurden mir von Lehrkräften unserer Schule berichtet, die als mobile Reserve im Landkreis unterwegs waren und in dieser Funktion auch einen Einblick in die Gebräuche und Abläufe an vielen anderen Schulen bekamen.

Bewegungsphasen, die in Geist und Körper der Schüler etwas Positives bewirken sollen, sehen anders aus. Förderung der Bewegungskompetenz, Verbesserung von Koordination und Konzentration sind durch gut aufgebaute Bewegungsphasen möglich. Dazu gehört gar nicht so viel. Ich habe darüber in meinem Buch „BrainGym und Co – kinderleicht ans Kind gebracht“ sehr ausführlich geschrieben.

Neben den täglichen Bewegungsphasen sind auch „Inseln der Stille“ sehr wichtig, in denen jedes Kind in Ruhe für sich arbeiten kann, ohne nach außen „performen“ zu müssen.

Prä-Aktion

Hiermit ist das gemeint, was die Verhaltensökonomen „Priming“ nennen, also eine Art Vorprogrammierung auf das Kommende. Es ist zum Beispiel außerordentlich wirksam, den Kindern, die sich mit einer bestimmten Verhaltensweise schwer tun, einen kleinen geistigen „Schubser“ in die richtige Richtung zu geben.
Zum Beispiel:
Franzi hat Probleme, sich beim Anziehen an der Garderobe rücksichtsvoll zu verhalten. Er macht sich zu breit, rempelt gerne Kinder an und wirft schon auch einmal die Schuhe seiner Garderobennachbarn durcheinander. Du könntest nun, wenn es ans Umziehen geht, Franzi beiseite nehmen und ihn fragen: „Was meinst, Franzi, kannst du dich heute an der Garderobe ganz ordentlich benehmen?“ Das Verblüffende ist, dass potenzielle „Übeltäter“ mannchmal auch ganz ehrlich und treuherzig sagen: „Na, heit geht’s ned!“ (O-Ton bayrisch) In so einem Fall nehme ich dann das Kind an die Hand und wir gehen gemeinsam zur Garderobe oder Franzi muss ein bisschen warten, bis der Trubel vorbei ist und kann sich dann anziehen. Da kannst du ja fragen, was ihm lieber wäre.

Re-Aktion

    Hier musst du einige Möglichkeiten parat haben, auch wenn das Re-Agieren auf Störungen den geringsten Anteil deiner Handlungen ausmachen sollte. Aber natürlich: Störungen kommen vor.
    Da ist es wichtig, den Unterrichtsfluss nicht zu unterbrechen, sondern auf die Störung eher ganz nebenbei zu reagieren. Wenn z.B. mit Stiften, Lineal oder Federmäppchen unnötig und störend herumgefuchtelt wird, kannst du ohne Kommentar zu dem Schüler hingehen und das „corpus delicti“ konfiszieren. Hier heißt die Devise: Handeln statt Reden.

    Gerade im Hinblick auf Disziplin wird meist viel zu viel geredet, belehrt und moralisiert. Ich finde es ganz normal, dass Schüler auch einmal etwas im weitesten Sinn „Unerlaubtes“ tun, deshalb sind sie noch lange nicht schlimm. Wichtig ist, wie wir damit umgehen, um erst gar nicht einen Schüler in eine moralische Ecke zu drängen, in der er dann wirklich nicht mehr anders kann, als sich durch Störungen und Widersetzlichkeit seinen Platz in der Gruppe zu schaffen.

    Zu „Handeln statt Reden“ passt es auch, als Reaktion auf unerwünschtes Verhalten nur zu dem Schüler hinzugehen, ihm vielleicht die Hand auf die Schulter zu legen oder auch nur kurz seinen Namen zu nennen.
    Eine weitere Möglichkeit ist es, den Banknachbarn des störenden Schülers zu loben, weil er sich nicht ablenken läst. Hier wäre die Devise: Unerwartet reagieren.
    Auch eine Vereinbarung mit einer Kollegin ist möglich: Störende Schüler werden mit ihrer Arbeit für eine Weile „umgeparkt“ in eine andere Lerngruppe. Das ist auch im Klassenzimmer an einem separaten Platz möglich, wobei in meinen Klassen immer die Regel galt, dass der Schüler selbst entscheiden konnte, wann er wieder bereit war, an seinen eigentlichen Platz zurückzukehren und dort störungsfrei zu arbeiten. Hier heißt die Devise: Kurzzeitiges Entfernen von der Gruppe.
    Und dann gibt es auch Fälle, in denen wir uns für eine sinnvolle pädagogische Reaktion Zeit verschaffen müssen und dem Schüler nur sagen, dass wir erst einmal nachdenken und dann mit ihm in Ruhe sprechen müssen.
    Denn wenn eine Situation emotional sehr aufgeladen ist, dann hat es gar keinen Sinn, in dieser Situation zu reagieren, da muss erst etwas Zeit vergehen und das Ganze heruntergekühlt werden.
    Aber gerade bei den einfachen Störungen, die ja wirklich nicht schwer wiegen, sondern nur furchtbar lästig sind und den Unterricht auch wirklich sabotieren können, sind die oben geschilderten Möglichkeiten wirkungsvoll. Aber entscheidend ist immer, dass du selber ausprobierst, was für dich und den betreffenden Schüler funktioniert.

    Und da ist es auch wichtig, dass du dir über die Ursachen einer Störung Gedanken machst.
    Wenn ein Schüler mit seiner Störung um Aufmerksamkeit geradezu bettelt, dann wird das Loben des Banknachbarn die Situation eher verschärfen.
    Deshalb ist es auch unsinnig, pädagogische Maßnahmen wie ein Wenn-dann-Rezept anzuwenden. So etwas funktioniert nicht.


      Wenn du dich weiter über den hier nur kurz vorgestellten pädagogischen Ansatz informieren möchtest, solltest du mein Buch lesen: Disziplin – kein Schnee von gestern.